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Tradition und Fortschritt verbinden

 




Revolution oder Evolution mittels Weiterentwicklung der Tradition?

Jürgen Kaube und Jakob Köllhofer wollen die Schule revolutionieren, eine kritische Evaluation

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Kurzfassung

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Wir leben in aufregenden Zeiten, Digitalisierung, Globalisierung, Klimawandel etc. bringen zweifellos neue inhaltliche sowie methodische Innovationen. Gleichzeitig leben wir auch in aufgeregten Zeiten. Aufgrund den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie erreicht man seine Mitmenschen mittlerweile nur noch, wenn jede Mücke zum Elefanten aufgeblasen wird: aus einer Idee wird ein Paradigma, aus einer Methode eine Methodologie, aus einer Innovation eine Revolution. Kurz gesagt, der Zeitgeist lechzt nach Revolutionen. Leider ist kein Utopia in Sicht, sondern Infantilisierung und Polarisierung des Diskurses sind die Folgen. Dieser revolutionäre Impetus überschattet auch die Schuldiskussion.

In diesem Artikel wird dies an einem Buch von Jürgen Kaube und einer Veranstaltungsreihe zur Schulpolitik am DAI Heidelberg aufgezeigt. Wäre da nicht dieser Revoluzzer Habitus, könnte man von gelungenen Beiträgen und ebensolchen Gesprächen berichten. Schule weiterentwickeln statt neu denken, Evolution mittels Weiterentwicklung der Tradition statt Revolution der Lehrpläne wäre meiner Meinung nach die sachlich angemessenere Strategie. 


Nachfrage nach (Konter)Revolutionären

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In Revolutionären Zeiten ist eine große Nachfrage nach entsprechendem Personal und damit eine Goldgräberstimmung für (Konter)Revolutionäre festzustellen. Auf diesem Gebiet ist Deutschland nach wie vor führend, da es Revolutionäre in Deutschland an jeder Straßenlaterne gibt. Dies bedingt geradezu logisch die Existenz von Konterrevolutionären. Sauber geordnet auf der linken Seite die Revolutionäre, auf der rechten die Konterrevolutionäre, Ordnung muss sein auch in revolutionären Umständen, wir sind schließlich in Deutschland. Die linke Seite ist überbelegt und zwar existiert eine Zwei- bis Dreifache Übermacht von Revolutionären gegenüber Konterrevolutionären. Weiterhin streben zig Universitäten danach, die Revolutionäre von morgen auszubilden.

Heidelberg ist nicht nur die älteste deutsche Universität (gegründet 1386), sondern eine der bekanntesten Ausbildungsstätten für revolutionäre Häuptlinge. Wenn man also nach den neuesten revolutionären Trends sucht, so kann man diese in Heidelberg in verschiedenen Institutionen kennenlernen. Eine davon ist das DAI, das Deutsch-Amerikanischen Institut. Hier wird seit Jahren in verschiedenen Vortragsreihen das Beste vom Besten vorgestellt, darunter machen es die Heidelberger kaum. Leider hat Toyota das Motto „Nichts ist unmöglich“ schon patentiert. Es wäre genau das richtige Motto für die Ansprüche des DAIs.


Schule neu denken“

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Am 12. Februar 2020 stand nun beim DAI die Schulpolitik auf der Tagesordnung. „Schule neu denken“ heißt eine aktuelle Reihe, die nichts weniger als eine Bildungsrevolution will, das Alte muss weg und etwas ganz Neues muss her. Die Zuhörer wurden diesbezüglich nicht enttäuscht, gleich zwei Revolutionen wurden angekündigt und vorgestellt: Einmal die Revolutionierung der Institution Schule als Unterrichtsort und zum Zweiten die Revolutionierung des Lehrplans.

Jakob Köllhofer, der Leiter des DAI und oberster Trendsetter in Revolutionsangelegenheiten, trat ans Mikrofon und verlor nur wenige Worte zum Referenten, schließlich war dies auch nicht nötig. Jürgen Kaube ist als Autor und Herausgeber der FAZ kein Unbekannter, schon gar nicht in Heidelberg. Spätestens seit seiner hervorragenden Biographie über Max Weber, wo vor allem Weber´s Heidelberger Zeit sehr liebevoll dazu kenntnisreich beschrieben wurde, dürfte er zumindest im Juste Milieu jedem ein Begriff sein.

Köllhofer informierte das Publikum über den Stand eines seit Jahren existierenden Projekts: Die Gründung einer Modellschule, in der nur die besten und revolutionärsten Ideen umgesetzt werden, selbstverständlich von bestens ausgebildeten Revolutionären. In Heidelberg zweifelt man keine Sekunde, dass auch in diesem Politikbereich Deutschland eine Vorreiterrolle einnehmen kann, ja einnehmen muss.

Es wäre nun sehr boshaft, wenn man auf die Idee kommt, dass man hier das alte deutsche Motto „Und es mag am deutschen Wesen / Einmal noch die Welt genesen“ (Franz Emanuel August Geibel, Deutschlands Beruf, 1861) pflegen würde. Zu Zeiten des Tausendjährigen Reiches, das auch in Heidelberg exakt 12 Jahre dauerte, lautete das Motto der Universität „Dem deutschen Geist“. Warum sollte man sich auch mit anderen Kulturen auseinandersetzen, wenn es im Endeffekt nur auf den deutschen Geist ankam?

Nach dem Krieg hat die Universität wieder das ursprüngliche Motto „Dem lebendigen Geist“ übernommen. Nicht wenige haben auch hier vor allem während der Bonner Republik eine 180 Grad Wende hinbekommen. Da aber weder Bescheidenheit noch Demut deutsche Tugenden sind, nicht mal Sekundär-, geschweige denn Primärtugenden, hat mittlerweile der Zeitgeist der Berliner Republik auch in Heidelberg Einzug gehalten, der nicht zuletzt seit 1968 auch von hier aus mitentwickelt wurde. Damit herrscht auch hier eine Geisteshaltung, die davon ausgeht, dass Deutschland der einzige Staat weltweit ist, der eine Vorreiterrolle übernehmen kann, ob nun in der Bildung oder beim Klima. Zweifel daran sind nicht angebracht. Im Mittelalter hat man noch in jeder Fakultät den Zweifel gepflegt, jeder Student musste während seines Studiums auch den advocatus diaboli geben, damit die Rolle des Bösen schlechthin einnehmen. Heute dürfen Studenten an Universitäten ja bekanntlich nicht mehr mit anderen Meinungen konfrontiert werden. Damit die Heidelberger Universität als Volluniversität firmieren kann, leistet sie sich auch ein Philosophisches Seminar wie ehedem Könige an ihren Höfen Hofnarren. Für den Exzellenz-Status, den die Universität selbstverständlich besitzt, ist dies irrelevant. Wichtig ist, dass positives Wissen von revolutionären Wissenschaftler generiert wird, mit dem man alle Probleme meistern kann. Weiterhin kompetente Technokraten mit einer tadellosen humanistischen Haltung ausbildet werden.

Im Endeffekt hat man eine 360 Grad Wende hinbekommen, zwar weist man empört jeden Vergleich mit der nationalistischen Arroganz der Nazi-Zeit zurück, die Vorreiterrolle ist ja was komplett anders. Es geht ja nicht einfach darum, dass die Welt den deutschen Geist nachäfft, sondern nur darum, dass die Deutschen dank ihrer humanitären Haltung sich in einer Vorreiterrolle opfern, damit die Welt gerettet werden kann.

Eine 360 Grad-Wende Vollziehen heißt nicht notwendigerweise sich im Kreise zu drehen. Wer das vertritt, kennt den hermeneutischen Zirkel als Spiralbewegung des Verstehens und damit die Arbeiten eines der bedeutenden Heidelberger Philosophen, Hans-Georg Gadamer, nicht. Eine 360 Grad-Wende kann eine Annäherung an die Wahrheit oder aber ein Irren auf höherem Niveau bewirken.

Köllhofer musste leider eine sehr bedauerliche Nachricht seinem Publikum überbringen. Trotz jahrelangem Einsatz ist noch keine Modell-Schule in Sicht. Dies liegt an einem ganz banalen Grund: Raummangel. Aufgrund des Wegzugs der Amerikaner aus Heidelberg gibt es zwar viel Baugrund. Wer aber den Baufortschritt in deutschen Landen kennt, weiß, dass Bauherren einen langen Atem, viel Geduld und noch mehr Geld brauchen. Der deutsche Geist ist zwar nach wie vor sehr stark, allein Demographie bedingt kann der Körper nicht mehr so gut mithalten. Daher dürfte es auch mit dem Bau einer Vorzeigeschule in Heidelberg noch etwas dauern.


Ist die Schule zu blöd für unsere Kinder?“

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Erziehungswissenschaftler, Lehrer und Pädagogen dieser Welt müssen trotzdem nicht weiter ziellos vor sich hin Wursteln, an revolutionären Konzepten und Bildungsrevoluzzern herrscht in Deutschland kein Mangel und schon gar nicht in Heidelberg. Ein Besuch in Heidelberg lohnt sich allemal, wer hier keine relevanten Bildungsideen findet, kann vielleicht bei einem Spaziergang auf dem Philosophenweg, beim Besuch des romantischen Schlosses oder bei einem netten Abendessen selber neue Ideen entwickeln oder aber die Vorteile von alten, Jahrtausende erprobten Ideen für sich entdecken. Damit komme ich nun zum Hauptteil des Abends, dem Vortrag von Jürgen Kaube.

Kaube hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Ist die Schule zu blöd für unsere Kinder?“. Darin erteilt er vor allem den Entwicklern von Lehrplänen Nachhilfe. „Lehrpläne sind die dümmste und unnützeste Textgattung des Universums“ so Kaube in seinem Vortrag. Im Buch lautet die entsprechende Passage wie folgt: „weg mit den Lehrplänen. Sie sind in ihrer jetzigen Form die dümmste Textsorte, die es im gesamten Schulsystem gibt“.

Es handelt sich beim Titel um eine rhetorische Frage, auf jeder Seite wird am systemischen Mangel des Schulsystems keinen Zweifel gelassen. Vor allem die Reformen, die die 68er Revolutionäre zu verantworten haben, sind für die Malaise verantwortlich. Die 68er werden ständig durch den Kakao gezogen und als bildungsferne sowie realitätsfremde Menschen hingestellt. Auch wenn ich nicht wenige Argumente teile, so bleibt ein Unbehagen, wenn Andersdenkende zu Pappkameraden degradiert und vorgeführt werden. An den Kapitelüberschriften ist leicht zu erkennen, dass Kaube sich genau wie seine Gegner, es sind definitiv keine Gesprächspartner, als (Konter)Revolutionär versteht, der in typisch deutscher Tradition sich als Besserwisser inszeniert. Hier einige verkürzte Beispiele seiner Kapitelüberschriften: Was die Schule kann und muss, wovon man die Schule befreien muss, was zu tun ist.


Polarisierung des Diskurses: Politisierung der Wissenschaft, Moralisierung der Politik sowie Kuhns Begrifflichkeiten als Instrumente von (Konter)Revolutionären

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In der Regel versuchen diejenigen, die apodiktische Urteile abgeben, diese mit der Autorität der Wissenschaft und der Moral zu legitimieren: Politisierung der Wissenschaft und Moralisierung der Politik ist die Folge. Die Vorstellung, dass man „die Wahrheit“ oder „das Gute“ zweifelsfrei ermitteln kann, ist eine prämoderne Chimäre. Ganz will man den Traum, Wahrheit und Richtigkeit zweifelsfrei zu ermitteln, nicht aufgeben. So hat Jürgen Habermas ein pragmatisches Modell der Politikberatung vorgestellt, demzufolge alle Legitimationsdilemmata überwunden werden können. Wenn alle Beteiligten, Bürger, Wissenschaftler wie Politiker, guten Willens sind, rational vorgehen, dann steht am Ende eine Entscheidung, die dann sowohl den Ansprüchen der Wissenschaft und der Moral entspricht sowie demokratischen Verfahren gerecht wird. Daher können und müssen so legitimierte Entscheidungen von allen akzeptiert werden.

Damit sind in Kürze die philosophischen Prinzipien der Kritischen Theorie angegeben, die die Grundlage der 68er Revolutionäre bilden. Sie glauben immer, dass sie im Besitz der Wahrheit sind, moralisch das richtige Tun sowie in einem demokratischen, freien Diskurs einen Konsens der Vernünftigen erringen könnten, d.h. die anderen von der Richtigkeit ihrer Meinungen überzeugen können. Die prinzipiellen Grenzen der Vernunft, die seit Kant herausgearbeitet wurden, werden einfach ignoriert.

Thomas Samuel Kuhn hat in seinen bahnbrechenden Arbeiten darauf hingewiesen, dass bei der Annahme von neuen Theorien nicht nur rationale, sondern auch politische, psychologische und soziologische Gründe eine Rolle spielen. Er hat insbesondere in seinem Buch „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ die Entwicklung der Physik, genauer die (kopernikanische) Wende vom ptolemäischen zum kopernikanischen Weltbild analysiert. Dabei verwendet er für die Beschreibung und Erklärung dieser Wende neue Begrifflichkeiten (Paradigma, Inkommensurabilität, (kopernikanische) Revolution, normale Wissenschaft). Diese prägen seit Jahrzehnten nicht nur die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen in allen Fächern, sondern auch die öffentliche Diskussion, allerdings leider in einer sehr undifferenzierten Art und Weise.

So wird der Begriff „Paradigma“ von allen sehr inflationär, in sehr unterschiedlichen Bedeutungen und auch oft missverständlich gebraucht. Dies liegt nicht zuletzt an der Vagheit des Begriffs, die Kuhn offen zugibt: „Ein Teil seines Erfolges, so muß ich mir mit Bedauern sagen, rührt daher, daß fast jeder alles herauslesen kann, was er will. An dieser übermäßigen Formbarkeit ist nichts an dem Buch so stark verantwortlich wie die Einführung des Ausdrucks ‚Paradigma‘“. Margaret Mastermann, eine Wittgenstein-Schülerin, hat mindestens 22 verschiedene Bedeutungen herausgearbeitet.

Der Missbrauch von Kuhns Konzepten ist sehr stark verbreitet, Kuhns Buch dürfte das am meisten zitierte und am wenigsten gelesene Buch sein. Vor allem die infantilste Bedeutung, Altes ist schlecht und muss durch Neues ersetzt werden, hat sich sehr stark durchgesetzt und begünstigt jede noch so platte Forderung nach Erneuerung, Neustart etc. Damit wird in allen Bereichen ein Feldzug des vermeintlich „Neuen“ gegen das „Alte“ an die Stelle sachlich-sorgfältiger Entwicklung gefordert: Gesinnung schlägt Besinnung. Beide, Revolutionäre wie Konterrevolutionäre, benutzen gerne Kuhns Vokabular. Dabei gebären sie sich wie manichäische Glaubenskrieger, die genau zwischen Licht und Finsternis, Gut und Böse unterscheiden können: tertium non datur. Damit wird ein Diskurs zwischen Andersdenkenden quasi von vornherein verhindert, da Andersdenkende nur als ungebildete dazu moralisch verwahrloste Pappkameraden vorgeführt werden: Das Freund-Feind-Schema von Carl Schmitt kann hier in Vollendung betrachtet werden. Dabei wird die gemeinsame Grundlage von Links- und Rechtshegelianern sichtbar.


Demokratischer und rationaler Diskurs: Gespräche auf Augenhöhe

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Der oben skizzierte manichäische Revoluzzer-Habitus steht in einem grundlegenden Gegensatz zu dem in der abendländischen Philosophie und Wissenschaft entwickelten sokratischen Habitus, indem der Zweifel und nicht die Gewissheit zentral ist. Der Heidelberger Philosoph Hans-Georg Gadamer hat sich in seinen Schriften für einen Diskurs auf Augenhöhe eingesetzt und insbesondere in Heidelberg mehrere Jahrzehnte dies auch praktisch umgesetzt. Ich habe Gadamer in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Seminaren und Vorträgen erlebt. Er hatte den Anspruch, dass jedes Gespräch zu einem Erkenntnisgewinn für beide Seiten führen müsste. Dies konnte am besten gelingen, wenn sich Kontrahenten radikal in Frage stellten. Gadamer beschwerte sich über den Großvatereffekt, nämlich, dass seine Zuhörer ihn wegen seiner Reputation und seines Alters kaum in Frage stellten und vor allem Verständnisfragen formulierten. Gadamer beeindruckte durch seine Ernsthaftigkeit, Schonungslosigkeit nicht nur gegenüber anderen, sondern auch sich selbst gegenüber sowie restlose Unbestechlichkeit. Unverspieltheit, nicht postmoderne Beliebigkeit, war sein Markenzeichen, er war stets zur Selbstkorrektur bereit und uneitel, keine Schauspielerei oder Pose.

Kaube hat etwas gemeinsam mit Gadamer, da er sich für Konzepte einsetzt, die als überholt angesehen werden. Kaube setzt sich für die Rehabilitierung des Frontalunterrichts und für einen lehrerzentrierten Unterricht ein. Dies sind alles Methoden, die von den 68er Revolutionären als von gestern diffamiert werden. Gadamer hat sich für die Rehabilitierung von Vorurteilen stark gemacht, das Vorurteil sei auch ein Urteil, das nur dem aktuellen Urteil vorangeht. Die zeitliche Entstehung kann aber nichts über die Qualität der Urteile aussagen. Der Unterschied liegt im Umgang mit Andersdenken, Gadamer hat immer mit allen auf Augenhöhe gestritten.

Es sei hervorgehoben, dass am Ende der Diskussion am DAI ein junger Mann den genius loci rettete und damit in einen kontroversen Dialog mit Kaube eintrat. Es kam zu einem lebendigen, aus Zeitgründen aber leider nur zu einem sehr kurzen Gespräch.


Fazit: Schule weiterentwickeln statt neu denken, Evolution mittels Weiterentwicklung der Tradition statt Revolution der Lehrpläne wären die sachlich angemessenere Strategien

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Jakob Köllhofer gelingt seit Jahren im DAI Heidelberg regelmäßig gute Veranstaltungsreihen auf die Beine zu stellen. Wäre da nicht dieser spätpubertäre 68er Revoluzzer Habitus, könnte man davon sogar schwärmen. „Schule neu denken“ ist kein geeignetes Moto, sondern reine, revolutionäre Polemik.

Die perfekte Schule wird es nie geben und kann es gar nicht geben. Dies ist nicht besonders tragisch, da das Leben, auf das die Schule vorbereiten soll, auch nicht perfekt ist. Es ist widersprüchlich, hässlich, schön, warm, kalt, liebevoll, grausam. Genauso haben zig Tausende von Generationen die Schule empfunden, dies wird sich auch in Zukunft nicht ändern.

Weniger ist auch bei der Gestaltung der Schule immer mehr. Wenn man für das eigene Kind eine halbwegs gute Schule findet, soll man zufrieden sein. Die Ansprüche an die Schule sind von den meisten Eltern extrem überzogen.

Es gibt genügend gute Schulen in Deutschland, in Heidelberg sowohl private als auch staatliche Gymnasien. Jede einzelne ist eine „Modellschule“, die mit sehr guten bis sehr schlechten Konzepten arbeitet. Die dort tätigen Pädagogen setzen diese wiederum auf einer Skala von sehr gut bis sehr schlecht um.

Deutschland hat über Jahrhunderte ein sehr gutes Bildungssystem entwickelt. Das größte derzeitige Problem sind seit 1968 die Millionen Revoluzzer, die den professionellen Mitarbeitern im Schulsystem nur Knüppel zwischen die Beine werfen und meinen alles besser zu wissen.

Analog sieht die Situation bei Lehrplänen aus, in denen sowohl festgehalten wird, was in der Schule unterrichtet werden soll, als auch wie dies methodisch geschehen soll. Kaube hat mit seinem Buch einen guten Beitrag zur „unnützesten Textgattung des Universums“ (Kaube), d.h., zur Weiterentwicklung von Lehrplänen geleistet. Im Buch gelingt Ihm eine gute Reduktion von Komplexität. Daher kann man dieses Buch, trotz des infantilen Titels sowie der anmaßenden Kapitelüberschriften, sowohl Lehrplanverfassern, Pädagogen und Eltern empfehlen. Weiterhin lohnt es, Kaube als Referenten einzuladen, sofern ein lebendiger Gedankenaustausch, ein Gespräch im Gadamerschen Sinn intendiert ist und keine revolutionäre Frontal- oder Frontbelehrung.

Es sei nicht verschwiegen, dass diese Kritik von jemanden kommt, für den Revolutionäre ein rotes Tuch sind. Nicht Revolution, sondern Evolution mittels Weiterentwicklung der Tradition ist meiner Meinung nach die geeignete Strategie, dies gilt auch für die Weiterentwicklung des Schulsystems.

„Was du ererbt von deinen Vätern hast, /Erwirb es, um es zu besitzen“ (Johann Wolfgang von Goethe, Faust, 1808, 682-683), so lautet ein gern zitiertes Diktum. Auch im Schulsystem können wir auf ein mehrere Jahrtausende altes, extrem hochwertiges Erbe zurückblicken. Dass Schulkonzepte und Lehrpläne ständig weiterentwickelt werden müssen, geschenkt. Schule adäquat für die Zukunft vorbereiten, heißt aber nicht die gesamte Schultradition wegwerfen und „Schule neu denken“, sondern quasi einen dialektischen Dreischritt vollziehen: erstens das Erbe in mühevoller Arbeit erwerben, zweitens dies durch große Anstrengungen pflegen und drittens mit ebensolcher Energie weiterentwickeln.

Meine gesamte Sozialisation im eigenen Elternhaus, in der Schule sowie in der Universität, wobei mich die nicht geringe Anzahl an revolutionären Professoren nicht überzeugen konnten, kann man mit diesen drei Sätzen wiedergeben. Daher lautet auch mein Motto für alle Lebensbereiche: Tradition und Fortschritt verbinden.

In aufgeregten und aufregenden Zeiten verspricht solch eine Vorgehensweise wenig Erfolg. Revolutionäre und keine normalen Arbeiter sind zumindest im öffentlichen Diskurs gefragt, dies wird nicht von wenigen, selbstverständlich unberechtigterweise, mit Verweis auf die Arbeiten von Kuhn begründet.

Kurz gesagt: Die Schule braucht weder Revolutionäre noch Konterrevolutionäre oder Alles-, Besser- und Bescheidwisser, sondern ein professionelles Personal, interessierte Schüler, verantwortungsvolle Eltern sowie ein gedeihliches Miteinander zwischen diesen drei Gruppen.


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